Naphthalin +Rezension+

Naphthalin

Naphthalin

Nachdem Ros Oma verstirbt, soll sie im Haus der eigenbrötlerischen Großmutter wohnen, denn ein Verkauf des Hauses lohnt nicht. Das Viertel ist inzwischen heruntergekommen und die allgemeine Situation in Argentinien insgesamt angespannt.

Mottenkugeln und Erinnerungen

Ro will in Kürze ihr Studium beginnen, sie möchte Fotografin werden. Das Erste, was sie in ihrem neuen Heim wahrnimmt, ist der Geruch nach Naphthalin, Mottenkugeln, der Duft ihrer Oma. Sich um die Katze zu kümmern, ärgert sie. An den Namen des Tieres kann sie sich nicht mal erinnern, wie an so vieles. Doch irgendwann brechen die ersten Erinnerungsfetzen auf sie rein. Die kleine Ro in einem übergroßen Grundriss des Hauses. Zu dieser Zeit war das Verhältnis zu ihrer Großmutter noch gut, je älter sie wurde, umso schwieriger wurde es. So beginnt Ro langsam, aus dem Leben ihrer Oma zu erzählen.

Das Leben ihrer Oma war nicht leicht. Noch als Baby musste sie mit ihren Eltern aus Italien fliehen. Ihr Vater war streng, hart und verbittert. Sie durfte kein Abitur machen und musste arbeiten, damit ihr Bruder Abitur machen und studieren konnte. Dieser hätte lieber verzichtet und musste seine sexuelle Orientierung vor seinem Vater und seinem Umfeld verstecken. Lange brauche ich, um zu begreifen, in welche Richtung dieser Comic geht, denn es geht hier um mehr als eine spannende und traurige Familiengeschichte. Es geht um Verhaltensweisen und Traumata, konkreter die transgenerationale Weitergabe.

So viele der Verhaltensweise sind unglaublich negativ und toxisch. Einige Punkte habe mich regelrecht getriggert, denn auch ich kenne einige dieser Verhaltensweisen von meinen Eltern und wir alle verinnerlichen sie, so dass ein Durchbrechen dieser oft schwer ist. Ro kann die Anwesenheit ihrer Oma noch spüren, verbildlicht wirkt dies wie ein Geist. Überall finden sich Mottenkugeln mit Gesichtern, der Duft der Verstorbenen und die Erinnerungsfetzen, die sich im Haus verstecken. Das Schriftbild in der Gegenwart lässt sich gut lesen, sobald die Geschichte in die Vergangenheit springt, bekomme ich Probleme mit dem Lettering. Für mich ist der Schrifttyp nicht gut lesbar. Da sich, neben einem angepassten Text auch die Seitenfarben ändern, lässt aber leicht erkennen, ob wir uns in der Gegenwart oder der Vergangenheit befinden.

Ich liebe es, wie alle eher plumpe Körper haben. Die Gesichter sind das eigentliche Entscheidungsmerkmal für die Personen und die Körper werden so wertfrei dargestellt. Die Bildsprache, das Nutzen des Grundrisses und wie alles zu diesem emotionalen Weg zusammenwächst, ist sehr beeindruckend. Ständig schwanke ich zwischen Verständnis für Personen und gleichzeitig dem Unverständnis über ihr Handeln. Sole Otero trifft hier einfach einen wunden Kern, den viele Familiengeschichten verbergen.

Naphthalin ist eine emotionale Reise von Ro sich ihre Familiengeschichte bewusst zu machen und zur Erkenntnis, wer sie ist und was sie möchte.

Naphthalin ...

… erzählt eine berührende Familiengeschichte.
… zeigt Ros Gedankenwelt als Tagebuchauszüge.
… trifft einen Nerv, wenn es um Tragödien und deren Verarbeitung geht.

Naphthalin

Szenario und Zeichnungen: Sole Otero
Softcover mit 336 Seiten
ISBN: 978-3-95640-375-0
Erschienen am: 13.06.2023
bei Reprodukt

Der Comic wurde mir als kostenfreies Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Meine Meinung ist dadurch nicht beeinflusst.

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Vergiss mich nicht

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© Reprodukt

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