Rude Girl +Rezension+
Rude Girl
Für zwei Monate verschlägt es Birgit Weyhe in den mittleren Westen der USA. Dort sammelt sie nicht nur interessante Eindrücke, sondern unterrichtet an der Uni. In dieser Zeit nimmt sie an einer Tagung teil, auf der ihr kulturelle Aneignung vorgeworfen wird. Ein wenig grollend über diesen Vorwurf kehrt sie nach Deutschland zurück, wo bereits eine Interviewanfrage von der Germanistikprofessorin Priscilla Layne aus den USA auf sie wartet. Nach diesem Interview folgt ein Rollentausch und Birgit interviewt Priscilla für einen Tagesspiegel-Comicstrip. Doch es wird mehr als das, es wird zu diesem Comic.
Du lernst nie aus
Priscilla wird in den USA geboren, ihre Eltern kommen aus Barbados und Jamaika. Sie ist schwarz, doch ihre Mitschüler finden, dass sie wie ein Weiße klingt. Ein Oreo, außen schwarz und innen weiß. Wie soll Birgit als Weiße aus Deutschland nun die Geschichte von Priscilla erzählen, ohne kulturelle Aneignung? Die Lösung ist naheliegend: zusammen mit Priscilla. Nach jeder Episode aus Priscillas Leben folgt ein Einschub, in dem Priscilla darauf eingeht. Sie korrigiert und macht Verbesserungsvorschläge, die Birgit im weiteren Verlauf aufgreift. Diese Kombination macht den Comic besonders spannend, lehrreich und unterhaltend.
Für die Familie zu wenig karibisches Mädchen, für die schwarzen Mitschülerinnen nicht schwarz genug. Diese Situation mach Priscilla zu einer Außenseiterin, gleichzeitig führt es dazu, dass sie einen bunten Freundeskreis hat: Jungs und Mädchen, egal ob Weiß, Inder oder Mexikaner. Als Tomboy passt sie oft nirgends richtig rein, dazu kommt sie aus der Arbeiterklasse, aber redet nicht so. Ihre Familie legte immer Wert auf Bildung und durch Indiana Jones wurde ihr Interesse an der deutschen Sprache geweckt. Das Außenseitertum, ihr Interesse an karibischer Musik wie Ska und Reggae und dass sie sich mit ihrer Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse auseinandersetzt, führt letztendlich dazu, dass sie sich in der kleinen Skinhead-Szene in den USA wiederfindet und endlich so etwas wie Zugehörigkeit erfährt.
Kleiner Einschub: Die Skinhead-Kultur ist per se erstmal neutral. Entstanden in den Arbeitervierteln Großbritanniens, waren hier schon immer die verschiedensten Menschen vereint. Natürlich gibt es solche und solche, wie überall. Sprich, es gibt ebenfalls sowohl linke als auch rechte Skinheads.
Musik ist in dieser Geschichte sehr wichtig. Die Kapiteltrenner sind Plattencover und auch die Darstellung von Musik selbst ist lebhaft umgesetzt. Ebenfalls werden hier Phobien und Missbrauch aufgegriffen, in einer Weise, die die Zustimmung der Überlebenden findet. Kummer, Missbilligung und Schmerz werden verdeutlicht, selbst wenn die Mine der Person in dem Augenblick reglos bleibt. Die in Rot abgesetzten Einschübe von Priscilla am Ende der Kapitel sind absolut stimmig und beeinflussen das Leseerlebnis in keiner Wiese negativ.
Ursprünglich sollte der Comic Oreo heißen, auf Wunsch von Priscilla. Vermutlich wäre er so unter meinem Radar geblieben. Meine Liebe für Ska hingegen, hat dazu beigetragen, dass der Titel Rude Girl mich sofort aufhorchen ließ und ich mehr über den Comic erfahren wollte. Zwar bin ich irgendwie über das Rollerfahren beim Ska gelandet, aber auch die Vorliebe für Punk und das Außenseitertum, ein Tomboy sein, sind Gemeinsamkeiten. Dadurch fühle ich mich mit Priscilla trotz unserer unterschiedlichen kulturellen Hintergründe sehr verbunden und habe ihre Geschichte und Anmerkungen sehr genossen.
Rude Girl ist die einzigartige Lebensgeschichte von Priscilla Layne, die einzigartig durch Birgit Weyhe umgesetzt wurde.
… ist mehr als nur die Geschichte einer Frau zwischen Migration, Race, Armut und Klassenunterschieden.
… hat mich in seiner Umsetzung absolut fasziniert.
… lässt es zu, dass Birgit Fehler machen darf, um aus ihnen zu lernen.
Rude Girl ist in sich abgeschlossen und ihr braucht keine Vorkenntnisse. Ja, er ist recht dick, doch der Text ist nicht erschlagend und die Leserichtung einfach erkennbar. Die Kommentareinschübe von Priscilla lesen sich wie Fußnoten. Dieser Comic zeigt eine spannende Art, wie das Medium genutzt werden kann.
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Rude Girl
Szenario und Zeichnungen: Birgit Weyhe
Softcover mit 312 Seiten
ISBN: 978-3-96445-068-5
Erschienen am: 01.03.2022
beim avant-verlag
Der Comic wurde mir als kostenfreies Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Meine Meinung ist dadurch nicht beeinflusst.
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