Ins kalte Wasser +Rezension+
Ins kalte Wasser
Sich vom alten Leben und der Familie lösen. Yvonne durchtrennt ihre letzte Bindung an ihr altes Leben und zieht in ein Altersheim. Sie fühlt sich zu jung, zu selbstständig, um in ein Heim zu ziehen, doch ohne Hilfe geht es nicht mehr und ihre Kinder und Enkelkinder haben so viel zu tun.
Yvonne ist ein bisschen wilder als die anderen Einwohner. Sie bekommt Besuch, doch nicht regelmäßig und es schmerzt, wenn sie wieder gehen müssen. Eines hat sie mit den anderen Bewohner gemeinsam, die Angst vor dem Älterwerden und vor allem vor dem Vergessen. Die Namen, das Leben, die Erlebnisse.
Jung im Herzen, alt in den Knochen
Es ist schwierig für Yvonne, sich in das regulierte Leben im Altersheim zu integrieren. Yvonne fühlt sich alleine und einsam, auch wenn sie bald Freundschaften schließt. Zudem hat sie wegen ihres Übermutes Probleme mit der Heimleitung, aber zum Glück auch verständnisvolle und wunderbare Pfleger. Yvonne ist einfühlsam, sie versucht anderen beizustehen, während sie selbst im freien Fall ist. Irgendwo zwischen Einsamkeit und Zweisamkeit holt sie das Schreckgespenst des Vergessens ein und jede Erinnerung an ihre Hündin triggert mich.
Der Comic ist einfühlsam und weich gestaltet, gleichzeitig aber auch lebensfroh. Er beginnt mit der Passage, in der Yvonne ihr Haus verlässt, um ins Heim zu ziehen. Sie trifft Entscheidungen, zu denen ich vermutlich nicht fähig gewesen wäre. Am Ende einer Passage folgt ein etwas längerer Text von Yvonne, wie sie diesen Ausschnitt empfunden hat und der erste hat mich gebrochen. Die Tränen liefen einfach aus den Augen und fast jeder Rückblick von ihr hat mich erneut zum Weinen gebracht.
Die Farben sind weich und gedeckt, die Darstellung von Fantasien ist wundervoll gestaltet. Der Comic ist anrührend erzählt und optisch wundervoll adaptiert. Jeder Charakter im Altersheim ist eigen und alle sehen nach Oma und Opa aus, egal ob groß, klein, dick, dünn, kahl, manche strenger und manche eben auch wilder. Es ist schön, wie lebensbejahend diese älteren Leute sind und wie sie sich immer noch ein Stück Freiheit zurückholen wollen und sich gegenseitig unterstützen.
Ins kalte Wasser zeigt, dass mit 80 das Leben keinesfalls schon vorbei sein muss, selbst wenn die Heimleitung dafür nur wenig Verständnis hat.
… führt uns zum letzten Lebensabschnitt von Yvonne.
… zeigt, dass dieser letzte Abschnitt nicht langweilig und trist sein muss.
… öffnet mir das Herz für Yvonne und ihre rebellischen Senioren.
Statt rebellische Kinder im Heim dürfen es für dich auch mal rebellische Senioren im Heim sein? Dann findest du in Yvonne vermutlich eine Freundin. Ein ganzes Leben liegt hinter ihr, über 50 Jahre Ehe, doch nun wird sie ihr gemeinsames Haus hinter sich zurücklassen. Wenn du diese Fülle an Erfahrungen magst, dann erwartet dich ein Comic mit gut geführter Leserichtung in den Sprechblasen und etwas längeren Textabschnitten am Ende eines Segmentes. Der Comic ist in sich abgeschlossen und Vorwissen wird nicht benötigt.
Ins kalte Wasser
Szenario: Séverine Vidal
Zeichnungen: Victor Pinel
Hardcover mit 96 Seiten
ISBN: 978-3-98721-040-2
Erschienen am: 26.10.2022
beim Splitter Verlag
Der Comic wurde mir als kostenfreies Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Meine Meinung ist dadurch nicht beeinflusst.
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