Lyneham +Rezension+

Lyneham

Willkommen in Perm! Diese Zuflucht der Menschen ist nur eine „kurze“ Reise entfernt. Die Impulsmission hat dort bereits ein Biom errichtet. Lyneham bietet den Menschen der ankommenden Schiffe eine Unterkunft. Doch das dritte Schiff hat eine Bruchlandung hingelegt – die Luft ist noch nicht atembar, und die Tierwelt ist ebenso gefährlich wie andere Menschen im Kampf ums Überleben. Trotzdem tut Charles alles, um seine drei Kinder ins schützende Biom zu bringen.

Die Zeit entsteht, weil ich vergehe. Die Richtung ist von der Ordnung zu Unordnung, von der Statik zur Auflösung, da gibt es kein Zurück.

Perm

Es ist nicht das erste Buch von Nils Westerboer, aber das erste, welches ich von ihm lese. Er konnte mich mit der Welt Perm absolut begeistern. Von Lyneham aus gibt es auf dem Mond unheimlich viel zu entdecken. Oft steht der dazugehörige Planet, die Windleite, hoch am Horizont und taucht alles in ein grünblaues Licht.

Durch diese Konstellation gibt es unterschiedliche Nächte auf Perm – sogenannte Wind- und Tiefnächte. Einige Informationen erhalten die Kinder durch Frau Strom, einen Tunnelbohrer, der ihre Lehrerin wird. Durch den Blickwinkel von Henry – quasi durch Kinderaugen – lässt sich die Welt ganz anders entdecken: vom sprechenden und laufenden Infusionsständer bis hin zu feinen Beobachtungen der zwischenmenschlichen Dynamik.

Doch nicht nur der junge Blick auf diese Welt hilft uns, sie zu verstehen; auch das Glossar, das über Thermodynamik, Entropie und Kryptide aufklärt, ist dabei sehr hilfreich. Im Nachhinein hat es mich etwas gewundert, dass ich als Kryptozoologie-Fan nicht selbst auf die Bedeutung kam. Dafür war ich begeistert, einmal das Wort „megalithisch“ außerhalb des Lovecraft-Universums zu lesen.

Henry ist sofort fasziniert von den Nebelfällen in Suttaterra, die nach oben steigen. Er lernt, was sich alles mit Luftschächten anstellen lässt, wie eine riesige Bohrmaschine seine Lehrerin wird und welche kleinen Entdeckungen den Alltag bereichern. Immer wieder werden Dinge geplant, die den Bewohnern ein Stück Normalität bringen – etwa, wenn in der Tiefnacht zum 25. Dezember, der Nacht vor dem Weihnachtsfest, nicht nur innere und äußere Nacht zusammenfallen, sondern gleichzeitig die „Schaumwehen“ auftreten, die an Schnee erinnern. Doch wir sehen Perm nicht nur durch Henrys Augen, sondern auch durch die seiner Mutter, die jedoch bei seiner Ankunft als verschollen gilt.

Entropie

Die Geschichte beginnt mit einem Höhepunkt auf der Spannungskurve. Danach wird es zunächst etwas ruhiger, und wir lernen auf zwei Zeitachsen viel über Perm – seine Flora und Fauna sowie die Anfänge der Besiedlung. Doch allmählich klettert die Eskalationskurve kontinuierlich nach oben. Es wird schlimmer und zugleich spannender. Die letzten 150 Seiten haben mich nicht mehr losgelassen: Ich war mittendrin, habe mitgefiebert, gejubelt und innerlich den Mittelfinger gehoben. Kurzum – es hat mich emotional gepackt.

Bald erfahren wir, dass die Mutter Teil einer Impulsmission war. Sie gehörte zu dem Team, das die Ankunft der Siedler vorbereitet hat. Die Geschichte wird auf zwei verschiedenen Zeitachsen erzählt: Einerseits durch Mutter Milgrid während der Impulsmission und andererseits durch ihren Sohn Henry, der zum Zeitpunkt der Handlung zwölf Jahre alt ist. Bereits bei der ersten Erwähnung habe ich mich gefragt, ob sein Augenzwinkern ein Nystagmus ist.

Henry ist neugierig und schlägt auch mal über die Stränge. Sein älterer Bruder ist dagegen sehr ruhig und regeltreu. Zwar macht er hin und wieder spitze Bemerkungen, ist jedoch sonst artig. Die kleine Schwester Loy kommt ganz nach ihrer Mutter: wissbegierig, hinterfragend, mit starkem Forscherdrang und der Fähigkeit, Verbindungen herzustellen – teilweise besser, als ich es selbst von einer Elfjährigen erwartet hätte. Vermutlich schlagen hier die Gene durch, genau wie bei den Marshmallows.

Es wird auch über die Tiere und Pflanzen auf Perm berichtet – hier lohnt es sich, aufmerksam zu lesen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Die Tiere haben keine Augen und eine Haut, die sie unsichtbar macht. Manche von ihnen leben von seismischer Energie. Ich bin schon jetzt vollkommen fasziniert von der Welt, die Nils Westerboer geschaffen hat, und er vertieft die wissenschaftlichen Aspekte noch weiter.

Mildred ist im Team nicht beliebt. Oft habe ich gelesen oder gehört, dass sie unsympathisch wirke. Mir hingegen ist sie sehr sympathisch. Sie ist klug, eine exzellente Wissenschaftlerin, wägt Entscheidungen logisch ab und unternimmt Dinge, die andere schockieren könnten – aber nie unüberlegt. Leider erkennt sie oft zu spät, welches Bild ihr Handeln auf andere wirft. Ihre zwischenmenschlichen Defizite kann sie nur bedingt kompensieren, doch sie möchte verhindern, dass menschliche Fehler sich auf Perm wiederholen.

Nils‘ Welt, die er auf Perm geschaffen hat, fasziniert mich. Die Lebewesen, die Forschung, die Wendungen haben mich begeistert, ganz besonders das Ende, mit dem ich so nicht gerechnet hatte. Habt ihr ein wissenschaftliches Interesse und liebt eine Zukunft, die sich mit Fehlern der Menschheit beschäftigt, seid ihr bei Lyneham absolut richtig. Hier findet ihr definitiv das Science in Science-Fiction.

Lyneham ...
… ist eine spannende SF-Geschichte um die Besiedlung eines Mondes auf zwei Zeitebenen.
… hat mich mit den Beschreibungen von Perm gefordert, doch auch super unterhalten.
… führte mich zu einem ganz anderen Schluss, als ich zu Beginn vermutet hätte.

Lyneham

Szenario: Nils Westerboer
Softcover mit 496 Seiten
ISBN: 978-3-608-98723-2
Erschienen am: 15.03.2025
beim Hobbit Presse

Das Buch wurde mir als kostenfreies Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Meine Meinung ist dadurch nicht beeinflusst.

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Lyneham

© Hobbit Presse

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