Die Zeit der Wilden +Rezension+
Die Zeit der Wilden
Trinkwasser gehört den Konzernen, die Fortpflanzung wurde privatisiert und sogar auf einem gestrandeten Wal prangt ein Markenlogo. Martine ist nur eine einfache Kassiererin, ein bisschen zu langsam für die Firmenleitung, aber als Gewerkschaftsmitglied, müssen handfeste Beweise zur Entlassung her. Als ihr eine Romanze zu einem Kollegen nachgewiesen wird, eskaliert die Lage und sie kommt durch einen Unfall ums Leben. Ihre vier Söhne sind nun in dieser Adaption von Sébastien Goethals des „Das Survival-Handbuch für Unfähige“ von Thomas Gunzig auf Rache aus.
Von Wölfen, Mambas und anderen Genen
Martine musste auf dem Schwarzmarkt Gen-Updates besorgen, um Kinder zu bekommen. Dies blieb nicht ohne Folgen. Auch wenn viele Menschen nun Updates benutzen, um gesunde, starke Kinder zu bekommen, sieht man ihren Kindern die Wolfsgene an. Nun jagt das Rudel Jean, der vermeintlich für den Tod ihrer Mutter verantwortlich ist und seine Familie. Die Polizei sieht hier aber keinen Anlass zum Handeln. Es ist wie bei dem Geldtransporter, der überfallen wurde; die Versicherung zahlt, kein Geschädigter, keine Ermittlungen. Die Toten klagen nicht an.
Jean hat Glück, dass eine Ermittlerin der Versicherung sich seines Falls annimmt. Während seine Frau ihn am liebsten opfern würde, verspricht die Ermittlerin, ihn zu schützen. Jean scheint in dieser Geschichte schon fast der einzig Nahbare zu sein. Eine verstorbene Mutter, Erfolg gegen sicheres Einkommen, sein Handeln ist menschlich. Seine Frau dagegen ist absolut kaltblütig und die Wölfe zeigen auch nur weniger menschliche Eigenschaften in ihrer Rudeldynamik.
Eine verzerrte Welt. Für die meisten Menschen zählen nur Erfolg und Geld. Trägheit können sie nicht verstehen, es muss immer mehr erreicht werden. Besser sein als die Anderen. Jeans Frau greift im Geiste immer wieder auf Auszüge von Arnold Schwarzenegger aus Pumping Iron zurück. Sie will Geld, Karriere und einen Mann mit Ambitionen auf Erfolgskurs und Jean scheint zufrieden mit dem Status Quo.
Diese Welt ist so kalt und blass wie ihre Zeichnungen. Zwar tauchen verschiedene Farbschattierungen auf, aber wer menschliche Wärme sucht, ist hier fehl am Platz. Immer wieder habe ich mich dabei ertappt, in den Gesichtszügen der Menschen auf Hinweise von Gen-Updates zu suchen und bilde mir ein, sie auch gesehen zu haben. Auf knapp 300 Seiten sind mir die Bilder nicht langweilig geworden und nicht alle Charaktere waren so schwarz-weiß, wie ich zuerst dachte. Der Comic lässt die Lesenden erst Stück für Stück diese Welt versehen, aber dranbleiben lohnt sich.
Die Zeit der Wilden zeigt eine kalte, materialistische Welt, in der eine ungewöhnliche Rachegeschichte spielt.
… hat ein kaltes, klares Artwork.
… zeigt eine Zukunft, in der wir uns schon jetzt befinden könnten.
… ist fesselnd, ungewöhnlich und komplex.
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Die Zeit der Wilden
Szenario: Sébastien Goethals
Zeichnungen: Sébastien Goethals
Hardcover mit 272 Seiten
ISBN: 978-3-96219-288-4
Erschienen am: 25.08.2021
beim Splitter Verlag
Der Comic wurde mir als kostenfreies Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Meine Meinung ist dadurch nicht beeinflusst.