Zwei weibliche Halbakte +Rezension+

Zwei weibliche Halbakte

Das Kunstwerk, Zwei weibliche Halbakte von Otto Mueller ist in gewisser Weise ein Zeitzeuge des NS-Regimes. In diesem Comic begleiten wir das Kunstwerk von seiner Entstehung bis heute und das immer aus der Perspektive des Bildes. Es erwacht durch die Pinselstriche zum Leben und erst durch die Farbe bekommt es die Möglichkeit nach außen zu sehen. Alle Panel entsprechen damit dem Format des Bildes und es wirkt dennoch nie langweilig.

Ein Bildnis des Zeitgeschehens

Otto Mueller arbeitet im Wald mit seiner Muse. Seine Frau Maschka steht ihm Model, obwohl das Ergebnis wenig mit ihr zu tun hat. Ein Zuckersack und Leimfarbe. Eine weiße Seite mit Sprechblasen und mit jedem Farbstrich bekommen wir einen besseren Blick auf den Maler. Nach getaner Arbeit wird das Bild auf ein Fahrad geklemmt und es geht zurück in eine Wohnung in Berlin. Bald steht eine Ausstellung an und ein Akt verkauft sich besser, doch es ist noch nicht gut genug. So begleiten wir den Künstler mit nach Breslau, wo er eine Professur annimmt.

Ständig werden wir getragen, verschoben, kommen zum Rahmenmacher und letztendlich landen wir bei Ismar Littmann an der Wand, mit Blick auf Schreibtisch und Fenster. Von dieser Perspektive aus werden wir das Zeitgeschehen verfolgen. Wie es dem Rabbiner von gegenüber ergeht, aber auch wie es dem jüdischen Sammler Littmann und seinem Geschäft ergeht. In Ismars Büro wird mir zum ersten Mal klar, wie sich Menschen und Bilder unterscheiden. Menschen wirken alle sehr blass im Gegensatz zu den Farben der anderen Bilder. Nachdem wir unserem Heim bei den Littmanns entrissen werden, muss ich gestehen, bekomme ich Angst.

Stummer Zeitzeuge

Ja, ich rede aus der Perspektive des Bildes, denn es ist die Ego-Perspektive und in dieser nehme ich wahr. Bilder sind für mich bunter und realer als Menschen und was ich nach den Beschlagnahmungen sehe, mir das Bild zeigt, bringt mich zur endgültigen Überzeugung, dass dieses Bild Gefühle hat. Adolf Ziegler, der Lieblingsmaler des Führers, wird uns aussuchen ein Teil der Ausstellung über entartete Kunst zu werden. Wir werden durch die Welt reisen. Wir werden unsere Muse wiedersehen und es wird uns so sehr schmerzen wie sie. Doch ist unsere Reise da noch nicht zu Ende.

Die Perspektive macht alles sehr persönlich, obwohl es um einen stummen Gegenstand geht. Es ist so nahbar, dass ich die eine oder andere Träne verdrückt habe. Eine Geschichte über Raubkunst mit so viel Emotionen zu erzählen, ist wirklich eine sehr beeindruckende Leistung von Luz. Er verzichtet hier nicht auf Zeichen und Begriffe der NS-Zeit, auch nicht die für Personengruppen. So nutzt Mueller wiederholt das Z-Wort, bei seinen romantisierten Vorstellungen über Rom:nja. Dies wird auch direkt zu Beginn des Comics als Content Notice angemerkt.

Da hier sehr viel Geschichte und Personen angetroffen werden, gibt es sowohl eine Zeittafel als auch ein Glossar über die Personen im Anhang der Graphic Novel. Ich bin unglaublich beeindruckt von dem Werk und möchte es sehr dringend empfehlen. Die Herangehensweise, einige Episoden aus der NS-Zeit zu erzählen, ist sowohl frisch als auch unterhaltend und gleichzeitig ernst und emotional.

Zwei weibliche Halbakte nutzt einen besonderen Blickwinkel, um auf die Thematik Raubkunst und entartete Kunst zu blicken.

Zwei weibliche Halbakte ...

… nutzt die Perspektive des Bildes, um seine Geschichte zu erzählen.
… hat ein beeindruckendes Artwork.
… konnte mich zutiefst beeindrucken und emotional treffen.

Comics für Einsteiger
Auch für Comic-Einsteiger

Den Comic bzw. die Graphic Novel für Neulinge zu empfehlen ist nicht ganz einfach und dennoch möchte ich es tun. Die Leserichtung lässt sich leicht erkennen, die Ego-Perspektive des Bildes mag für Comic-Neulinge fremd sein, doch nutzt das Medium Comic eben auch auf fantastische Weise aus. Vorwissen wird nicht benötigt, doch mit knapp 200 Seiten etwas Durchhaltevermögen. Wenn euch das Thema interessiert, habt ihr hier einen wirklich grandiosen Comic, dem ihr eine Chance geben solltet.

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Zwei weibliche Halbakte

Szenario: Luz
Übersetzung: Lilian Pithan
Hardcover mit 192 Seiten
ISBN: 978-3-95640-468-9
Erschienen im April 2025
bei Reprodukt

Der Comic wurde mir als kostenfreies Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Meine Meinung ist dadurch nicht beeinflusst.

Mehr über Raubkunst und Zwangsarbeit:
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Valentin

© Reprodukt

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Ab 00:27:56 könnt ihr uns zuhören, wie wir über den Comic sprechen.

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