[Lesung] Auf der Straße heißen wir anders
Lesung: Auf der Straße heißen wir anders
Bereits ein paar Mal hat Laura Cwiertnia aus ihrem Buch vorgelesen, doch diese Tage war sie für mehrere Lesungen in Bremen. Laura Cwiertnia und ich haben etwas gemeinsam, wir haben beide in Vegesack das Licht der Welt erblickt und wir haben beide mehrfach die Busverbindungen in dieser Ecke verflucht, ich vermutlich sogar noch mehr als sie. Eine ihrer Lesungen findet in Bremen-Nord statt, in der Stadtbibliothek Vegesack, gleich neben einem ihrer Schauplätze im Buch.
Heimspiel
Als Kind hat Laura Cwiertnia viel Zeit in der Stadtbibliothek Vegesack verbracht. Sie hat die Aufkleber von den Hanni und Nanni Büchern abgeknibbelt, damit sie die Bandnummer lesen konnte und musste sie irgendwann zur Strafe neu bekleben. Nun sitzt sie hier und ist froh, dass das Buch von einer Mitarbeiterin der Bibliothek zur Begrüßung zusammengefasst wird, denn ihr selbst fällt es schwer, das Buch zusammenzufassen. Sie wird uns vier Abschnitte aus dem Buch vorlesen. Die ersten beiden spielen in Bremen-Nord und Karlas Geschichte wird hier ein bisschen beleuchtet. Ein Teil spielt sogar direkt im Freizeitheim neben der Bibliothek, was beim Vorlesen mit einem Fingerzeig „dort“ von der Autorin aufgegriffen wird. Die anderen beiden Abschnitte werden die Geschichte von Karlas Vater und ihrer Großmutter beleuchten.
Das Buch hat autobiografische Anteile. Es ist also autofiktional und beim Schreiben hat sich die Geschichte immer weiter von der Realität entfernt. Laura Cwiertnia hat viel für ihr Buch recherchiert und Interviews geführt. Es ist auch ein Bild dessen, welche Auswirkungen der armenische Genozid auf die nächsten Generationen hatte. Tatsächlich war Laura für einen Artikel in der Zeit mit ihrem Vater in Armenien. Trotz ihrer armenischen Wurzeln waren beide vorher nie dort. Nach dem Artikel kamen einige Literaturagenten auf Laura zu, um ein Sachbuch oder eine Biografie zu schreiben. Klett-Cotta waren diejenigen, die sagten „Wir trauen ihnen zu, daraus einen Roman zu machen“. Über vier Jahre verteilt, inklusive einer Babypause, ist der Roman schlussendlich entstanden.
Laura Cwiertnia erzählt bewusst die Geschichte in Rückblicken. Oft fragt sie sich, warum eine Person seine Eigenheiten hat, wenn sie jemand neues kennenlernt. Je mehr über die Geschichte der Person klar wird, desto besser werden wir sie verstehen und diesen Ansatz hat sie daher für ihren Roman gewählt. Das Bekenntnis zur armenischen Abstammung kann durchaus Folgen haben, doch plant die Autorin keine Reise in die Türkei und geht davon aus, dass der Belletristik in diesem Zusammenhang keine große Aufmerksamkeit geschenkt wird.
In ihrem Buch wird ebenfalls die Geschichte der Gastarbeiterinnen in Deutschland beleuchtet. In den 70ern gab es etwa 700.000 von ihren, etwa ein Drittel der Gastarbeiter*innen war weiblich. Einer der Gäste spricht das Thema an, dass die Frauen in der Zeit und auch jetzt noch wenig Beachtung gefunden haben. Doch genau zu diesem Thema hat Laura Cwiertnia in der Zeit einen Artikel veröffentlicht. Laura war schon früh an Literatur interessiert, wie eine ihrer alten Lehrerinnen im Publikum bestätigt. Das journalistische Schreiben für die Zeit ist ihr Beruf geworden. Doch war sie selbst ein wenig überrascht, dass ihr das Schreiben des Romans leichter fiel, als ihre normale Schreibtätigkeit.
Auf der Straße heißen wir anderes ist eine Art fiktionale Familiengeschichte von Laura Cwiertnia, die sie nicht ohne die Zustimmung ihrer Familie veröffentlicht hätte. Ich hatte das Gefühl, Laura hat sich bei diesem Heimspiel sichtlich wohlgefühlt, viele Fragen beantwortet und sich sehr offen gezeigt. Für mich wird es nun Zeit, ihren Roman zu beenden.
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Auf der Straße heißen wir anders
Autorin: Laura Cwiertnia
Hardcover mit 240 Seiten
ISBN: 978-3-608-98198-8
Erschienen am: 19.02.2022
bei Klett-Cotta
Das Buch wurde mir als kostenfreies Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt. Meine Meinung ist dadurch nicht beeinflusst.